Bündner Wohneigentum

Online-Magazin des Hauseigentümerverbands Graubünden

Ausgabe 129 | Juni 2025

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Lösen Wohnbaugenossenschaften die Wohnungsnot?

In der öffentlichen Debatte gelten Wohnbaugenossenschaften oft als Allheilmittel gegen den Wohnraummangel. Sie stehen für soziales Engagement, Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit. Doch wie belastbar sind diese Versprechen?

Sind Genossenschaften tatsächlich das "Gelbe vom Ei", um die drängende Wohnungsnot zu lösen? Die Antwort lautet: Nein.

Zunächst einmal: Die Idee des gemeinnützigen Wohnungsbaus ist keinesfalls schlecht. Wohnbaugenossenschaften können wichtige Akzente setzen, insbesondere auf lokaler Ebene. Auch die staatliche Förderung dieses Sektors ist sinnvoll, solange sie zielgerichtet erfolgt. Dennoch sollte man sich von Illusionen befreien: Der Anteil von Genossenschaftswohnungen am Schweizer Immobilienmarkt beträgt gerade einmal 2,8 Prozent, in Graubünden ist er noch tiefer. Wären Genossenschaften tatsächlich die Antwort auf den Wohnraummangel, hätten sie sich längst stärker etabliert – auch ohne staatliche Unterstützung.

Wohnbaugenossenschaften sind kein universelles Rezept gegen die Wohnungsnot.

Mythos soziale Gerechtigkeit: Ein zentraler Kritikpunkt ist die Frage, wer tatsächlich in Genossenschaftswohnungen wohnt. Die gängige Annahme, dass sie Bedürftigen und sozial Schwächeren zugutekommen, hält einer näheren Betrachtung nicht stand. Tatsächlich sind es oft gutverdienende Haushalte, die in den Genuss von subventioniertem Wohnraum kommen – entweder, weil sie bereits bei Einzug finanziell gutgestellt waren, oder weil sie später zu Wohlstand gelangten. Was jedoch fehlt, sind klare Regeln, um diese Dynamik zu steuern. Es gibt kaum Anreize, Wohnungen für Bedürftige freizumachen, und Vergabekriterien sind oft undurchsichtig. Hier zeigt sich: Ohne Transparenz und Kontrolle droht der gemeinnützige Wohnungsbau an seinen eigenen Idealen zu scheitern.

Nachhaltigkeit: Anspruch und Wirklichkeit: Ein weiterer weit verbreiteter Mythos ist die angebliche Nachhaltigkeit von Wohnbaugenossenschaften. Zwar leben Genossenschafter im Schnitt auf weniger Quadratmetern, doch eine detailliertere Betrachtung zeigt Schwächen. Private Investoren nutzen Bauland effizienter und erneuern ihre Immobilien früher, was langfristig sowohl ökologisch als auch ökonomisch Vorteile bringt. Die baulichen Ausnutzungsziffern privater Mehrfamilienhäuser sind im Schnitt 20 Prozent höher als bei genossenschaftlichen Projekten.

Hinzu kommen finanzielle Herausforderungen: Ältere Genossenschaften haben Schwierigkeiten, neues Kapital für Sanierungen oder ökologische Verbesserungen zu beschaffen. Besonders problematisch wird es, wenn Baurechtsverträge auslaufen. In solchen Fällen sinkt der Anreiz, in langfristige Erneuerungen oder nachhaltige Massnahmen zu investieren.

Zudem dauert die Planung neuer Genossenschaftsprojekte oft Jahre, was sie anfällig für steigende Baukosten macht und die Reaktion auf drängende Umweltprobleme erschwert. Hier können private Investoren oft flexibler und schneller handeln.

Es sind oft gutverdienende Haushalte, die in den Genuss von subventioniertem Wohnraum kommen.

Die Rolle der öffentlichen Hand: Die Förderung von Wohnbaugenossenschaften durch die öffentliche Hand erfolgt auf verschiedenen Ebenen: vergünstigte Baurechtszinsen, Steuerbefreiungen, zinslose Darlehen oder direkte Subventionen. Solche Massnahmen sind per se nicht falsch, doch sie bergen Risiken. Ohne klare Regeln und Transparenz ist Missbrauch nicht auszuschliessen. Es besteht die Gefahr, dass Steuergelder ineffizient eingesetzt werden und der gewünschte Effekt ausbleibt.

Es wäre daher wünschenswert, dass subventionierte Genossenschaften freiwillig strengere Regeln für Transparenz und soziale Gerechtigkeit einführen. Die Vergabe von Wohnungen sollte strikt nach Bedarf erfolgen, und finanzielle Vorteile müssten klar nachvollziehbar sein. Sollte dies nicht geschehen, bleibt der Politik keine andere Wahl, als regulierend einzugreifen.

Eine begrenzte Kapazität: Ein weiterer Schwachpunkt von Wohnbaugenossenschaften ist ihre begrenzte Kapazität. Sie sind häufig lokal verwurzelt oder auf spezifische Zielgruppen ausgerichtet, was ihre Fähigkeit, den Wohnungsmarkt insgesamt zu entlasten, einschränkt. Hinzu kommt, dass Genossenschaftsprojekte hohe Eigenkapitalquoten und langfristige Finanzierungen erfordern – Faktoren, die den Bauprozess verlangsamen können.

Die Herausforderungen des Wohnungsmarktes, insbesondere in städtischen Zentren, sind jedoch vielschichtig. Der Mangel an bezahlbaren Bauflächen, steigende Baukosten und die wachsende Nachfrage nach nachhaltigem Wohnen betreffen alle Akteure, nicht nur Genossenschaften.

Das Fazit ist klar: Wohnbaugenossenschaften leisten einen gewissen Beitrag und bieten Ansätze, um den Wohnungsmarkt punktuell zu entlasten. Doch sie sind kein universelles Rezept. Ihre Wirkung bleibt durch strukturelle, finanzielle und ökologische Hürden begrenzt.

Es ist daher entscheidend, den Wohnungsbau als Ganzes differenziert zu betrachten. Neben der Förderung von Genossenschaften braucht es auch Anreize für private Investoren, gezielte Steuerungsmassnahmen und eine kluge Nutzung der knappen Ressourcen. Der Traum von einem fairen, nachhaltigen Wohnungsmarkt lässt sich nur durch die Kombination verschiedener Ansätze und eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Fakten verwirklichen.

Reto Nick

ehem. Geschäftsführer HEV Graubünden

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