Bündner Wohneigentum

Online-Magazin des Hauseigentümerverbands Graubünden

Ausgabe 125 | Juli 2024

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Der Bündner Energieminister zum Scheitern des CO²-Gesetzes

Das CO²-Gesetz wurde vom Schweizervolk abgelehnt – auch in Graubünden. Das Rennen war bis zum Schluss offen. Nach einem emotionalen Abstimmungskampf ist nun etwas Ruhe eingekehrt.

Der HEV Graubünden hat sich zu dieser Vorlage ausnahmsweise nicht geäussert, was faktisch Stimmfreigabe bedeutete. Der Grund ist einfach, nämlich die unterschiedlichen Auffassungen der Mitglieder über die Richtigkeit der Vorlage. 

Regierungsrat Mario Cavigelli stellt sich den Fragen von «Bündner Wohneigentum».

Bündner Wohneigentum

Herr Regierungsrat Cavigelli, weshalb ist diese Vorlage gescheitert?

RR Cavigelli

Es haben verschiedene Faktoren zu dieser Ablehnung geführt. Es dominieren nach meiner Einschätzung vier. Zum Ersten ist da einmal der Stadt-Land-Graben, der sich in der Schweiz zunehmend öffnet, gerade auch in Fragen, die mit der Natur und dem Umweltschutz zu tun haben. Die Klimafrage trifft uns im Berggebiet langfristig stärker als in städtischen Zentren. Das ist uns bewusst, aber wir wollen dieses Thema eigenverantwortlicher und vor allem auch – ich würde einmal sagen – schollenverbundener angehen, also vor allem auch mit Rücksicht auf die konkrete Auswirkung für uns und unsere Lebenssituation vor Ort. Zum Zweiten hat die Vorlage ein buntes Set an Verteil- und Lenkungsmechanismen vorgesehen mit verschiedenen neuen Abgaben und einer komplexen Berechnung für die Rückvergütungen an die Bürgerinnen und Bürger, die sich klimaschonend verhalten. Das war zu kompliziert. Es wurde zu viel in die Vorlage eingepackt. Zum Dritten ist im Gegenzug aber vor allem für das Wohneigentum mit dem Heizungsersatz und für die Mobilität mit der Erhöhung des Benzinpreises und der Flugticketabgabe deutlich geworden, wo man als Bürgerin und Bürger zum Beispiel ganz sicher Mehrkosten zu tragen hat. Das Wohnen und die Mobilität zu verteuern, das trifft fast alle. Es muss gut begründet und abgefedert sein. Und zu guter Letzt gehe ich davon aus, dass auch die Covid-Pandemie das Ihre zu ­einem Nein beigetragen hat. In Zeiten der Verunsicherung für die eigene Existenz und Zukunft sind zusätzliche Umwälzungen von gewohnten Abläufen nicht auch noch erwünscht. 

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Welche Folgen hat die Ablehnung des CO²-Gesetzes für den Kanton Graubünden?

RR Cavigelli

Die Klimaerwärmung bleibt auch nach der Ablehnung des CO²-Gesetzes ein Faktum und ein globales Pro­blem, das gelöst werden muss. Es trifft kontinentale Länder wie die Schweiz und insbesondere auch das Gebirgs- und Alpengebiet im Vergleich sogar stärker. Die Schweiz und damit auch der Kanton Graubünden haben sich mit dem Pariser Klimaabkommen deshalb mit gutem Grund zu einer Reduktion der CO²-Emissionen verpflichtet. Diese Verpflichtung bleibt bestehen. Das abgelehnte CO²-Gesetz war ein Vorschlag des Bundes, wie wir dieser Verpflichtung nachkommen wollen. Es gilt nun, einen anderen Weg zu suchen. Sinnvollerweise sind die Aufgaben zwischen dem Bund und den Kantonen aufzuteilen. Im Kanton Graubünden stehen wir vergleichsweise gut da: Die Bündnerinnen und Bündner sind sich des Klimathemas sehr wohl bewusst. Unsere Förderprogramme, mit denen wir einen Anreiz zur Sanierung von Gebäuden, zum Heizungsersatz und auch zu weiteren klimaschonenden Investitionen schaffen, werden rege abgerufen. Auch zahlreiche Unternehmen wie beispielsweise in der Hotellerie, bei den Bergbahnen oder in Gewerbe und Industrie investieren mit diesem Fokus. Ausserdem haben wir ein auch im schweizweiten Vergleich modernes Energiegesetz für den Bereich der Wohngebäude, wo die Kantone primär zuständig sind. Es macht vernünftige und gemeinhin akzeptierte Vorgaben und bringt uns ambitioniert weiter. Es ist seit dem 1. Januar dieses Jahres in Kraft. Dank Förderprogramm, Aufklärung und modernem Gesetz werden wir im Gebäudebereich die auch vom Bund angestrebten Ziele zur Reduktion der CO²-Emissionen auch ohne nationales CO²-Gesetz erreichen.

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Der Kanton Graubünden verfügt über ein fortschrittliches Energiegesetz, das seit dem 1. Januar 2021 in Kraft ist. Wird der Kanton weitere Massnahmen ergreifen, um den Umstieg von der fossilen Energie zu den erneuerbaren Energien zu beschleunigen – oder genügen die Anreize und Vorgaben im Bündner Energiegesetz?

RR Cavigelli

Wir verfügen, wie gerade erwähnt, über ein modernes Bündner Energiegesetz, kombiniert mit Anreizen über ein gutes und umfassendes Förderprogramm von Bund und Kanton. Wir zahlen pro Kopf schweizweit am meisten Förderbeiträge aus. Wie Sie wissen, hat die Regierung aus dem Grossen Rat ausserdem den Auftrag erhalten, einen «Aktions­plan Green Deal für Graubünden» auszuarbeiten und damit aufzuzeigen, mit welchen Massnahmen der Bündner CO²-Ausstoss markant weiter reduziert werden kann. Die Regierung schlägt dem Grossen Rat vor, dabei in zwei Etappen vorzugehen. Wie die erste Etappe aussieht, ist vor wenigen Wochen gerade präsentiert worden. Sie setzt im Kern auf eine weitere Intensivierung von bereits bestehenden, wirksamen Massnahmen in den Bereichen Gebäude, öffentlicher Verkehr und Landwirtschaft. Um den Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien zu beschleunigen, braucht es diese und noch weitere zusätzliche Massnahmen und Mittel, sonst erreichen wir das Klimaziel «Netto Null» per 2050 nicht. Die parlamentarische Beratung zu diesem ersten Massnahmenpaket steht kurz bevor, erste Beschlüsse des Bündner Gros­sen Rats werden bereits in der ­Oktobersession 2021 gefasst.

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Wie geht es Ihrer Ansicht nach auf eidgenössischer Ebene weiter? Welches Szenario ist wahrscheinlich?

RR Cavigelli

Ich stelle in Bundesbern nach der Ablehnung des CO²-Gesetzes eine gewisse Unsicherheit und Kon­sternation fest. Es ist aktuell unklar, ob der Bund nochmals einen umfassenden Anlauf unternimmt, um die CO²-Emissionen bereichsübergreifend zu senken, oder ob Bundesrat und Parlament neu nun in einzelnen Bereichen tätig werden wollen und – falls ja – in welchen Bereichen dies schwergewichtig geschehen soll. Klar ist hingegen, dass die Kantone im Gebäudebereich ihre Aufgabe weiterhin wahrnehmen werden und den Schwung behalten wollen. Die Konferenz der kantonalen Energiedirektorinnen und Energiedirektoren (EnDK) hat sich deshalb schon vor einiger Zeit den Auftrag gegeben, Massnahmen aufzuzeigen, mit denen der Zielpfad für ein «Netto-Null» bis 2050 im Gebäudebereich zu erreichen sein wird. Es wird dabei darum gehen, die Chancen aus der Eigenstromproduktion und der Digitalisierung mit den Aufgaben zur Erneuerung des Heizsystems und des Automobilparks Schritt für Schritt zu verbinden. 

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Und wie sieht es in anderen Bereichen wie Industrie und Verkehr aus?

RR Cavigelli

Um die Reduktionsziele in der Industrie zu erreichen, ist man schweizweit auf dem Weg. Es braucht dafür noch grosse Anstrengungen, die Zielerreichung beurteile ich aber als machbar. Die grosse offene Frage bleibt letztlich der Verkehr, der bekanntlich für den Grossteil der aktuellen CO²-Emissionen verantwortlich ist. Der Bund hat da verschiedene Handlungsbereiche zur Hand, sie sind politisch allerdings wenig akzeptiert und deshalb nur schwer konkret umsetzbar. Was sicher nicht geht, ist, dass der Gebäudebereich auch noch die Reduktionsziele von anderen Sektoren erfüllen soll. Er kann dabei unterstützen. Mehr aber nicht.

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