Bündner Wohneigentum

Online-Magazin des Hauseigentümerverbands Graubünden

Ausgabe 124 | März 2023

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Kündigung im Hinblick auf eine Sanierung

Frage

Mein Mehrfamilienhaus mit sechs Mietwohnungen, Baujahr 1973, bedarf einer grund-legenden Sanierung. Unmittelbarer Anlass ist der Ersatz der alten Ölheizung durch eine Wärmepumpen-Anlage mit einer energetischen Sanierung der Fassaden. Gleichzeitig sollen auch noch die alten Wasserleitungen ersetzt sowie die Küchen und Nasszellen erneuert werden. Um die Arbeiten möglichst flexibel und reibungs-los aus-führen zu können, möchte ich vor-ab alle Mietverträge kündigen. Ist dies zulässig?

Antwort

Das Schweizer Mietrecht geht vom Grundsatz der Kündigungsfreiheit aus. Dies gilt auch bei Kündigungen im Hinblick auf umfassende Umbau-, Renovations- oder Sanierungsarbeiten. Das Bundesgericht hat wiederholt bestätigt, dass es einem legitimen Interesse der Vermieterschaft entspricht, ein Mietverhältnis unter Beachtung der vertraglichen/gesetzlichen Kündigungsfristen zu beenden, wenn solche Bauarbeiten nach dem Auszug der Mieterschaft rascher und günstiger ausgeführt werden können. Der Entscheid über die Art und den Umfang der Sanierung liegt grundsätzlich allein bei der Vermieterschaft. Die Zulässigkeit der Kündigung hängt nicht davon ab, ob die auszuführenden Arbeiten notwendig oder dringlich sind.

Die mietrechtliche Kündigungsfreiheit wird aber durch die allgemeinen Regeln von Treu und Glauben eingeschränkt. Eine Kündigung gilt als missbräuchlich und damit anfechtbar, wenn sie ohne objektives, ernsthaftes und schützenswertes Interesse und damit aus reiner Schikane erfolgt oder wenn ein krasses Missverhältnis der involvierten Interessen der Parteien besteht. Eine Sanierungskündigung kann nach gefestigter Praxis nur ausnahmsweise als missbräuchlich qualifiziert werden, wenn die Durchführung der geplanten Arbeiten durch das Verbleiben der Mieterschaft im Mietobjekt nicht oder nur sehr unerheblich erschwert oder verzögert würde, wie dies etwa bei reinen Aussenrenovationen oder Balkonanbauten beziehungsweise bei untergeordneten Arbeiten im Innern, so beispielsweise das Streichen von Wänden, der Fall sein könnte. In zeitlicher Hinsicht ist für die Beurteilung der Gültigkeit einer Kündigung der Zeitpunkt, in dem diese ausgesprochen wurde, relevant.

Vor diesem Hintergrund gilt eine Kündigung insbesondere dann als missbräuchlich, wenn im Zeitpunkt ihrer Aussprechung:

– das konkrete Sanierungsprojekt der Vermieterschaft in offensichtlichem Widerspruch zu den einschlägigen öffentlichrechtlichen Bestimmungen steht oder objektiv unmöglich ist, so dass mit Sicherheit keine Bau-bewilligung erteilt wird, oder
– kein ausgereiftes und realitätsnahes Sanierungsprojekt vorliegt, das eine konkrete Beurteilung ermöglicht, ob für die geplanten Bauarbeiten eine Räumung des Mietobjekts notwendig ist; Letzteres wird angenommen, wenn sich die konkreten Baumassnahmen ohne Anwesenheit der Mieterschaft günstiger, einfacher oder schneller durchführen lassen.

Es sei weiter noch darauf hingewiesen, dass die Gültigkeit der Kündigung nicht voraussetzt, dass bereits eine Baubewilligung vorliegt beziehungsweise ein Baugesuch eingereicht worden ist. Sollte das Sanierungsprojekt von der Baubehörde später nicht bewilligt werden, hat dies nicht zur Folge, dass die Kündigung nachträglich missbräuchlich wird, es sei denn, das Projekt wäre bereits im Kündigungszeitpunkt offensichtlich nicht bewilligungsfähig gewesen, was die Mieterschaft zu beweisen hätte.

Zusammenfassend erachte ich aufgrund des Umfanges und der Eingriffstiefe der geplanten Gesamtsanierung des 6-Familienhauses eine Kündigung der Mietverhältnisse grundsätzlich als zulässig. Es ist wichtig, die individuellen Kündigungsfristen sowie allfällige Kündigungssperrfristen der einzelnen Mietverhältnisse im Auge zu behalten. Ihre Sanierungsplanung sollte im Zeitpunkt der Kündigungen so weit fortgeschritten sein, dass Sie über ein ausgereiftes Sanierungsprojekt verfügen, aus dem sich die konkreten Massnahmen und Eingriffe ergeben. Auch wenn eine ordentliche Mietvertragskündigung grundsätzlich erst auf Ersuchen der Mieterschaft begründet werden muss, ist es im Lichte der dargelegten Praxis zur Missbräuchlichkeit empfehlenswert, die Kündigung schon vorab, zum Beispiel mit dem Stichwort «Gesamtsanierung», zu begründen und in einem Begleitbrief kurz die beabsichtigten Arbeiten zu erläutern. Sie sollten weiter vorbereitet sein, in einem allfälligen Anfechtungsverfahren geeignete Belege für die geplante Sanierung vorlegen zu können, wie beispielsweise Baubeschrieb, Kostenschätzung, Pläne, Baugesuch/Baubewilligung (falls bereits vorhanden). Je weiter die Sanierungsplanung fortgeschritten ist und je näher der realisierbare Baubeginn liegt, desto grösser sind die Chancen, dass die Kündigungen im Streitfall geschützt und den anfechtenden Mietern keine langen Mieterstreckungen gewährt werden.

Christian Hew

Rechtsanwalt und Notar, Rechtsberater HEV Prättigau

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